City of Thorns - Kapitel 1

Ich versuchte den Typen, dem ich gestern Abend eine verpasst hatte, nicht anzustarren. Drei Dinge machten es mir schwer. Erstens: Das Veilchen um Jacks Auge hatte ein tiefes, leuchtendes Violett angenommen, das im Neonlicht des Seminarraums glänzte. Zweitens: Er gehörte gar nicht in dieses Seminar. Und drittens saß er ganz hinten und machte eine groteske Geste, bei der er seine Zunge durch V-förmige Finger schob. 

Kurz gesagt, meine Präsentation lief nicht gut. 

Jack Corwin belästigte mich seit der Highschool. Ich hätte erwartet, dass er im letzten College-Jahr über die Finger-im-Loch-Gesten und die vorgetäuschten Orgasmusgesichter hinausgewachsen wäre, aber Jack widersetzte sich gern den Konventionen. Warum sollte er diese Art von Widerwärtigkeit aufgeben, wenn sie doch sein Markenzeichen war? 

Ich hatte mich so gut auf den heutigen Tag vorbereitet. Stundenlang hatte ich mir die Namen der relevanten psychologischen Studien eingeprägt. Ich hatte mir ein knielanges schwarzes Kleid mit weißem Kragen ausgesucht – niedlich, aber professionell und nur leicht gruftig. Ich hatte mir meine Notizen abgeschrieben und meine knallroten Locken zu einem ordentlichen Pferdeschwanz gebunden. Doch meine Vorbereitung spielte keine Rolle mehr, sobald ich mit dieser wedelnden Zunge konfrontiert wurde. 

Konzentrier dich, Rowan. Vergiss ihn. 

Ich straffte meine Schultern und musterte den Rest des Seminars. Meine Kommilitonin Alison zwirbelte eine blonde Locke um ihren Finger und sah mich erwartungsvoll an. Sie schenkte mir ein ermutigendes Lächeln. 

Ich warf einen Blick auf meine Notizzettel und begann wieder vorzutragen. „Wie ich schon sagte, ist das Konzept der verdrängten Erinnerungen sehr umstritten.“ Ich hob meinen Blick. „Viele Psychologen bestreiten ...“

Jack machte einen Kreis mit seinem Finger und seinem Daumen, dann schob er seinen anderen Zeigefinger hinein und wieder heraus. Um es perfekt zu machen, öffnete er seinen Mund weit für ein Orgasmusgesicht. Das Licht schimmerte auf der seltsamen silbernen Brosche, die er immer trug und die die Form eines Hammers hatte. 

„Sorry. Äh, dissoziative Amne...“, fing ich wieder an, „… so steht im DSM ...“

Im hinteren Teil des Klassenzimmers, wo niemand außer mir ihn sehen konnte, bewegte Jack seine Hüfte stoßend auf und ab.

In mir kochte die Wut. Aus mehreren Gründen war er der letzte Mensch, den ich in meiner Nähe haben wollte, und ich zeigte schließlich auf ihn. „Sollte er hier sein?“, platzte ich heraus. „Er ist nicht in diesem Kurs. Warum ist er dann hier?“

Leider hatte niemand sonst gesehen, was er tat, also wirkte ich einfach wie eine Idiotin. 

Mein Professor, Dr. Omer, hob seine dunklen Augenbrauen und starrte mich an. Als er in den hinteren Teil des Raumes blickte, gab Jack ein perfektes Bild der Unschuld ab. Er hielt seinen Stift in der Hand, als ob er sich die ganze Zeit Notizen gemacht hätte. Nur ein fleißiger Junge, der lernen will. 

Dr. Omer verschränkte seine Finger und sah mich stirnrunzelnd an. Er sagte nichts, weil er diese Psychologen-Sache durchzog, bei der er einen schweigend ansah und darauf wartete, dass man merkte, dass man etwas Unangemessenes getan hatte. Ich schluckte schwer. 

Die Sache war die: Jack war mir gestern Abend gefolgt und hatte mich vor meinem Haus in die Enge getrieben. In Wirklichkeit verfolgte er mich seit Jahren. Es gab einen legitimen Grund, warum ich ihm ein blaues Auge verpasst hatte.

Aber das hier war keine Therapiesitzung, und ich versuchte auch nicht, professionell zu sein. Wir waren hier, um zu lernen oder zumindest eine gute Note im Zeugnis zu bekommen.

„Er ist nicht in diesem Kurs“, wiederholte ich etwas leiser. „Ich verstehe nicht, warum er hier ist.“ 

Ich spürte die Blicke meiner Mitstudenten auf mir und Hitze breitete sich in meinem Nacken aus. Da ich blass wie Milch war, ließ sich schwer verbergen, wenn ich rot wurde. 

„Er hört sich den Kurs für den Rest des Semesters an“, sagte Dr. Omer mit ruhiger Stimme. „Er hat die Erlaubnis, hier zu sein.“ Er presste seine Finger für einen Moment gegen die Lippen und runzelte die Stirn. Der Psychologen-Blick. Dann meinte er: „Gibt es ein Problem mit deiner Präsentation? Du bist doch sonst immer gut vorbereitet, Rowan.“ 

Normalerweise bewunderte ich Dr. Omers ruhiges Auftreten, aber jetzt wirkte es so, als würde er das Haus, das um ihn herum brannte, einfach ignorieren. 

Ich atmete tief und langsam ein und versuchte mich zu konzentrieren, indem ich an meine Füße dachte, die fest auf dem Boden verwurzelt waren. Konzentrier dich einfach und steh das durch, Rowan. Heute Abend würde ich mit meiner besten Freundin Shai auf meinen zweiundzwanzigsten Geburtstag anstoßen. Bier, Pizza, Klatsch und Tratsch über ihr tolles neues Leben. Alles, was ich tun musste, war die nächsten zwanzig Minuten zu überstehen. 

„Überhaupt kein Problem.“ Ich lächelte. „Ich war nur einen Moment lang verwirrt. Ich bin eigentlich wie immer sehr gut vorbereitet.“ Ich räusperte mich. „Dissoziative Amnesie ist theoretisch ein Zustand, der ...“

Warte. Würde er wirklich für den Rest des Semesters in diesem Kurs bleiben? Ich musste dieses Seminar besuchen, um meinen Abschluss zu machen. 

Ich warf einen Blick aus dem Fenster auf die City of Thorns – die magische Stadt, die sich über Osborne, Massachusetts, erhob. Ich hatte vor, dort das Graduiertenkolleg zu besuchen, und zwar so bald wie möglich.

„Rowan?“, fragte Dr. Omer mit einem Hauch von Verärgerung in seinem Ton. „Es wäre vielleicht besser, wenn du das an einem Tag wiederholst, an dem du besser vorbereitet bist. Ich glaube nicht, dass das die beste Nutzung unserer Seminarzeit ist.“

Autsch. Meine Hände zitterten, aber ich war mir nicht sicher, ob das die Folge von Angst oder Wut war. 

„Nein, ich hab’s schon. Tut mir leid. Ich wurde durch den nicht funktionierenden Projektor aus dem Konzept gebracht.“ Ich schluckte, bereit, meine Fassung wiederzuerlangen. „Was ich meine, ist die Unfähigkeit, auf Erinnerungen im Unterbewusstsein zuzugreifen ...“ Ich drehte meine Notizzettel um und versuchte, meine Gedanken zu etwas Zusammenhängendem zu ordnen. „Besonders autobiografische Erinnerungen, die Dinge aus jemandes Leben ...“ Ich schaute wieder zu Jack auf und sah, wie er sich in seinem Stuhl zurücklehnte und seine Brustwarzen massierte, während seine Zunge aus seinem Mund ragte. 

An diesem Punkt verhedderten sich zwei Überlegungen in meinem Kopf. Die eine war der nächste Satz auf meinem Notizzettel, der lautete: „Wenn du dir vorstellen könntest ...“ Die andere war: Ich würde diesen Mistkerl gern noch einmal schlagen. Während mein Gehirn über die beiden Gedanken stolperte, starrte ich Jack direkt an und platzte heraus: „Wenn du den Mistkerl wieder lieben könntest ...“ 

Das ergab keinen Sinn, klang aber definitiv unangebracht. 

Erschrockenes, halb unterdrücktes Lachen unterbrach die Stille. 

Die Studenten drehten sich wieder zu Jack um. Er hatte sofort wieder seine unschuldige Pose eingenommen und schaute angesichts meiner Äußerung verdutzt drein. Seine Augenbrauen hoben sich. 

Mein Magen sackte in sich zusammen. 

Töte mich. Bitte, lass mich einfach im Boden versinken.

Ich spürte, wie die Wärme über meine Wangen kroch, als eine schreckliche Stille eintrat. Die Lichter surrten und flackerten über mir, und mein Mund wurde trocken. „Ich habe mich versprochen.“ Ich wies auf Jack. „Er hat Grimassen geschnitten ...“ Ich merkte, wie lahm das klang, und brach ab. 

Jacks Besessenheit von mir hatte vor Jahren begonnen, als er mich in der neunten Klasse an der Osborne Highschool um ein Date gebeten hatte. Ich hatte Nein gesagt und das hatte ihn wütend gemacht. Also hatte er Gerüchte darüber in die Welt gesetzt, dass ich das ganze Baseballteam gevögelt hätte. Alle hatten ihm geglaubt. Die nächsten vier Jahre wurde ich Home Run Rowan genannt, und er hatte sogar Nacktfotos von Pornodarstellerinnen so bearbeitet, dass sie mein Gesicht trugen. So waren meine Highschool-Jahre gewesen.

Aber das konnte ich jetzt nicht erzählen. Die Studenten wollten diesen Abschnitt ihres Tages hinter sich bringen und zum Taco-Dienstag in der Mensa übergehen. 

„Ich habe mich versprochen“, wiederholte ich. 

Dr. Omer presste seine beiden Handflächen vor dem Mund zusammen. „Okay, ich weiß nicht genau, was hier los ist, aber ich spüre, dass es einen zwischenmenschlichen Konflikt gibt, und ich glaube nicht, dass dies ein produktives Forum für eine Diskussion ist. Wenn es ein Problem zwischen euch beiden gibt, können wir das nach dem Unterricht klären.“

Jack schaute verlegen und hob zum ersten Mal seine Hand. „Ich glaube, ich weiß, was los ist. Rowan war wütend, als ich ihr gestern Abend eine Absage erteilt habe, und sie wusste nicht, wie sie damit umgehen sollte. Sie ist ausgerastet.“ Er deutete auf sein Auge. „Aber ich schwöre, ich bin bereit, den körperlichen Angriff hinter mir zu lassen. Ich bin bereit, mich auf Abnormale Psychologie zu konzentrieren. Ich bin ein engagierter Student. Wenn Sie sich mein Zeugnis ansehen, werden Sie feststellen, dass ich einer der besten Studenten bin, die Sie je hatten.“ 

„Oh, mein Gott!“ Alison riss die Augen weit auf. „Hast du ihm wirklich das blaue Auge verpasst?“, fragte sie mich. „Ich will ja nicht dramatisch sein, aber ich habe gerade wirklich große Angst.“

Jemand sagte etwas davon, die Polizei zu rufen. Andere lachten, halb schockiert und halb begeistert. Aus ihrer Sicht war das wahrscheinlich das Aufregendste, was in diesem Semester passiert war. Das war besser als der Taco-Dienstag. Das war ein Drama.

Ich zerknüllte meine Zettel in den Händen und mein Herz klopfte gegen meine Rippen. „Ich habe ihn geschlagen, ja, aber er hat es verdient. Er ist das Problem hier, nicht ich.“ 

Vor meinem inneren Auge löste sich das Empfehlungsschreiben von Dr. Omer in Luft auf. Auf Wiedersehen, Studium in der City of Thorns; auf Wiedersehen, mein Lebenstraum, ein ungelöstes Verbrechen aufzuklären. 

Gestört. Ich wirkte völlig gestört. 

Sie irrten sich, aber nichts ließ einen verrückter erscheinen, als zu schreien, dass man selbst die Vernünftige war. 

„Okay, wisst ihr was?“ Ich warf die Notizzettel in den Mülleimer. „Ich glaube, meine Präsentation ist vorbei.“

Mein ganzer Körper surrte vor Adrenalin, als ich aus dem Raum stürmte.

Ich saß auf dem Bett in meiner Kellerwohnung und skizzierte die Tore der City of Thorns. 

Nach meinem miesen Tag war ich lange joggen gegangen. Ich hatte das Tempo hochgeschraubt und meine Muskeln brannten immer noch, als ich sie auf der Bettdecke dehnte. Laufen war die beste Art, mit Stress umzugehen und mich in meinem Körper zu verlieren. Es waren auch die einzigen Momente, in denen ich mich bei etwas wirklich gut fühlte. Das einzige Problem war, dass ich manchmal, wenn meine Füße durch die Blätter im Wald flogen, Flashbacks an die Nacht hatte, in der Mom gestorben war. Ich hörte ihre Stimme, die mir sagte, ich sollte rennen. 

Ich schüttelte den Kopf, um die dunkle Erinnerung zu verdrängen. Stattdessen konzentrierte ich mich darauf, das Bild des Tores zu perfektionieren. Diese Zeichnung diente keinem Zweck, aber ich war völlig besessen von den Konturen des Tores – der schmiedeeiserne Eingang zur Dämonenstadt, verziert mit einem Totenkopf in der Mitte, seltsam schön und abschreckend zugleich. Vielleicht war es nicht die gesündeste Besessenheit, wie eine Verrückte immer wieder das Gleiche zu zeichnen, aber wenigstens dachte ich nicht an Jack Corwin. 

Ich atmete aus, während ich den Schädel schattierte. Hier zu wohnen war Teil meines Plans, Geld für die Graduiertenschule in der Dämonenstadt zu sparen. Dadurch gab ich keinen Cent mehr aus als nötig, schließlich lebte ich in einem Keller mit sechs anderen mittellosen Studenten. Unsere Zimmer waren durch dünne Holzwände voneinander getrennt, und wir teilten uns ein Bad und eine Küchenzeile, die hauptsächlich aus einem Kochtopf und einem Wasserkocher bestand. 

Mein Telefon summte – ein Anruf von Shai – und ich nahm ab. „Hey.“

„Oh! Du hast tatsächlich geantwortet, anstatt so zu tun, als wärst du beschäftigt, und dann zwei Minuten später eine Nachricht zu schreiben.“ 

Ich grinste. „Wer redet denn heute noch am Telefon? Das macht alle nervös, außer dich.“ 

„Was machen wir denn an deinem Geburtstag? Es gibt da diesen tollen Thai-Imbiss, den ich unbedingt ausprobieren möchte, und ich könnte dir Essen bringen, vielleicht zusammen mit ein paar Flaschen Wein.“

Ich lächelte. „Meine neue Wohnung ist ein schäbiger Keller mit Spinnen. Und im Vergleich zu deinem schicken Wohnheim an der Belial-Universität wird es dir wie ein richtiges Drecksloch vorkommen.“ 

„Ist es wirklich so schlimm?“ 

„Warte.“ Ich knipste ein paar Fotos zum Beweis und schickte sie ihr. „Okay. Siehst du, wenn wir uns wie normale Leute einfach nur Nachrichten schreiben würden, würde das hier alles viel reibungsloser ablaufen.“

Nach einem Moment hörte ich sie sagen: „Oh, okay. Nun, ja, es ist klein. Hübsch eingerichtet, aber klein. Ich mag die Vorstellung von Spinnen nicht ... Ich wünschte, ich könnte dich hier haben, aber ich glaube, du könntest ganz legal von Dämonen ermordet werden, wenn ich dich reinschmuggle.“ 

Ich nickte. „Das würde ich gern vermeiden. Vielleicht nur auf einen Drink irgendwo in Osborne?“ 

„Warte mal ... Ich zoome gerade in deine Fotos rein, um zu sehen, ob ich irgendwas Peinliches finde.“ 

„Ich habe zweiunddreißig Bilder von den Toren der City of Thorns gemalt, und die meisten sind an die Wand geklebt“, sagte ich. „Das ist ziemlich peinlich.“ 

„Ja, aber ich wusste schon, dass du eine Spinnerin bist. Ich hatte gehofft, dass du auch eine Art heimlicher Sex-Freak bist. Eine Sekunde lang dachte ich, ich hätte riesige rote Dildos neben deinem Bett gesehen, aber jetzt sehe ich, dass es Feuerlöscher sind.“ 

„Was ist das Gegenteil von einem Sex-Freak?“, fragte ich. „Das bin nämlich ich.“ 

„Okay, aber warum hast du zwei Feuerlöscher neben deinem Bett?“ 

Ich setzte mich aufrecht hin und wurde schon bei dem Gedanken daran unruhig. „Es gibt keinen Weg hier raus, Shai. Es gibt ein kleines Fenster über dem Bett, aber es lässt sich nicht öffnen. Wenn das Haus brennt, muss ich mich aus einer entfernten Ecke aus dem Keller herauskämpfen, während die Wände um mich herum in Flammen stehen.“ 

Sie atmete scharf ein. „Oh, Mist. Kannst du vielleicht eine andere Wohnung finden? Das klingt selbst mit den Feuerlöschern nicht sicher. Ist das überhaupt legal?“ 

„Wahrscheinlich nicht, aber ich habe auch Feuermelder installiert. Und ich habe mich mit dem Zeug eingedeckt, das Stuntmen benutzen, um durch Flammen zu kommen.“ 

„Warte, was?“, rief sie.

Ich ging im Geist durch, was unter meinem Bett lag. „Feuerhemmende Kleidung und Gels, die verhindern, dass meine Haut brennt, wie in Hollywood. Ich könnte durch Flammen laufen, wenn ich müsste. Oh! Und ich habe eine Gasmaske gekauft, falls ich durch Rauchschwaden gehen muss. Ich bin ziemlich gut ausgerüstet mit allem möglichen Zeug.“ 

„Natürlich. Du bist also immer noch eine Art Prepper, nehme ich an?“ 

„Ja, also im Falle einer Dämonenapokalypse kommst du her. Ich habe mehrere große Säcke mit Bohnen und Reis und ein paar Antibiotika. Allerdings sind die für Fische.“ 

„Schön“, sagte sie. „Wir werden die Dämonen also mit Burritos und Penicillin töten?“ 

„Für den Fall, dass die Geschäfte und Arztpraxen schließen. Und ich habe einen Wasseraufbereiter, falls das Reservoir verseucht ist.“ 

Was ich nicht erwähnte, war mein seltsamster Prepper-Gegenstand: der Fuchs-Urin, den Jäger benutzten, um ihren Geruch zu verbergen. Wenn die Dämonen in Osborne wüteten und nach Blut lechzten sollten, würde ich mich einfach in Fuchspisse tränken. Dann würden sie mich nie finden. Aber das brauchte Shai nicht zu wissen. Selbst bei meiner besten Freundin hatte ich eine Grenze, die ich nicht überschritt. 

„Okay“, sagte Shai. „Nun, da gerade keine Apokalypse stattfindet, sollten wir uns überlegen, wo wir Margaritas trinken, okay?“ 

„Ich bin mit allem zufrieden, egal wo. Es wird einfach Spaß machen, dich zu sehen und aus dem Keller zu kommen. Und ich brauche unbedingt einen Drink. Ich habe heute eine absolut katastrophale Präsentation in meinem Kurs über Abnormale Psychologie gehalten.“ 

„Verdammt. Okay. Gib mir kurz Zeit, um herumzutelefonieren und zu sehen, ob ich uns was reservieren kann, ja? Ich schicke dir gleich eine Nachricht.“

Sie legte auf und ich lehnte mich in meine Kissen. Eine flackernde Bewegung erregte meine Aufmerksamkeit und ich blickte auf eine Spinne, die über den Boden huschte. Der Geruch von Schimmel und Moder lag schwer in der Luft. 

Ich zog meinen Zeichenblock und meinen Bleistift in meinen Schoß und beendete die Filigranarbeit an einem weiteren Bild von den Toren der City of Thorns. 

Es gab nur zwei Arten von Sterblichen, die in der Stadt zugelassen waren: die Diener, die in ihre Rolle hineingeboren wurden, und Studenten wie Shai, die es sich leisten konnten. Jedes Jahr nahm die Belial-Universität in der City of Thorns etwa dreihundert sterbliche Bewerber auf. An der Dämonenuniversität Belial lernten sie, ihre Karrieren mit den magischen Künsten zu bereichern. Absolventinnen und Absolventen wie Shai bekamen immer eine gute Arbeitsstelle, egal in welchem Bereich. 

Aber in meinem Fall war die Bildung nicht der eigentliche Grund, warum ich an die Dämonenuniversität wollte. 

Ich wollte Rache. Ich wollte den Dämon finden, der meine Mutter getötet hatte. 

Als das Bild des Tors fertig war, blätterte ich die Seite um und begann einige Zahlen zu meinem Kontostand zu notieren. Im Moment hatte ich fünfundsiebzigtausend Dollar Schulden an Studentenkrediten mit sieben Prozent Zinsen. Wenn ich das zurückzahlen und außerdem die hunderttausend sparen wollte, um an der Belial Universität studieren zu können, dann ...

Mein Magen drehte sich um. 

Jedes Mal, wenn ich anfing, diese Berechnungen zu machen, drückte das Gewicht der Unmöglichkeit auf mich herab. Ich hatte es schon eine Million Mal durchkalkuliert, aber die Zahlen passten nie zusammen. Mit meinen Kreditzinsen hätte ich die hunderttausend Dollar ungefähr ...

Niemals

Ich würde niemals hunderttausend Dollar haben, um reinzukommen. 

Immer öfter dachte ich über einen Plan B nach: in die Stadt einbrechen und dann irgendwie nicht auffallen. Es musste doch einen Weg geben. Selbst eine uralte Dämonenstadt würde eine Schwachstelle haben. 

Als ich anfing, über meinen noch gefährlicheren und verrückteren Plan nachzudenken, summte mein Telefon mit einer Nachricht von Shai: Cirque de la Mer. Zwei Cocktails zum Preis von einem heute Abend. Triff mich dort um 20:30 Uhr xo

Wahrscheinlich war es gut, dass sie mich dabei unterbrach, Einbruchspläne zu schmieden, bevor ich mir etwas ausdachte, dass mich noch umbrachte. 

 

Ich saß am weißen Marmortresen im Cirque de la Mer, meine roten Haare vom Septemberregen durchnässt, trank ein Guinness und leckte mir den Schaum von den Lippen. Ich trug immer noch mein schwarzes Kleid und meine Stiefel, aber ich hatte mich mit schwarzem Nagellack, Eyeliner und silbernen Ringen ein wenig aufgepeppt. Das war mein Look: rothaarige Goth-Puritanerin. 

Hinter der Bar blickten riesige Fenster auf den Atlantik, und das Meer glitzerte im Sternenlicht. Dubstep dröhnte um mich herum. Mir gefiel es hier, mit der lauten Musik, die meine eigenen Gedanken übertönte, und dem herrlichen Blick auf das Meer. Natürlich war dies wahrscheinlich die teuerste Bar an der Nordküste von Massachusetts, aber für heute Abend wollte ich mir keine Gedanken über Geld machen. Die Kredite waren so lächerlich hoch, dass ich eh nichts mehr tun konnte. Ich könnte genauso gut eine Milliarde Dollar Schulden haben. 

Als Shai sich an der Bar neben mich setzte, strahlte sie mich an. Ihr dunkles Haar fiel in zwei langen Zöpfen über ein cremefarbenes Kleid. Sie trug leuchtend roten Lippenstift, der perfekt zu ihrer hellbraunen Haut passte. 

Ich hatte es wirklich dringend nötig, ein freundliches Gesicht zu sehen. 

Sie umarmte mich. „Hallo, Geburtstagskind. Was trinken wir? Tequila Shots?“ 

„Ich habe Tequila nach dem Vorfall am Harvard Square abgeschworen.“ 

Sie zog eine Grimasse. „Oh, richtig. Okay, dann lass uns essen und Cocktails holen, damit du dich nicht schmutzig machst.“ Sie hob die Hand und der Barkeeper kam sofort mit einem Lächeln herüber. Shai bestellte uns zwei Mojitos und eine Butternut-Kürbis-Pizza.

Nachdem das erledigt war, drehte sie sich mit hochgezogenen Augenbrauen wieder zu mir um. „Okay, was war das mit deinem Alptraum von einem Tag?“ 

Ich seufzte. „Jack Corwin ist mitten in meiner Präsentation im Seminar aufgetaucht und hat Orgasmusgesichter gemacht, während ich versucht habe, mich zu konzentrieren. Und dann hat er behauptet, ich hätte ihm ein blaues Auge verpasst.“

Ihre Hand flog für einen Moment zu ihrem Mund. „Erstens, vergiss den Kerl. Zweitens, hat er den Verstand verloren? Wie kommt er darauf, dass die Leute glauben würden, du hättest ihn geschlagen?“ 

Ich räusperte mich. „Also, was das angeht. Ich habe ihn tatsächlich geschlagen.“ 

Was?“ 

„Nachdem er versucht hat, mir seine Zunge in den Hals zu rammen“, sagte ich abwehrend. 

„Er hat dich also zuerst angegriffen? Du musst die Bullen rufen. Er lässt die Dinge eskalieren. Er stalkt dich schon seit Jahren.“ 

Der Barkeeper schob unsere Mojitos über die Theke und ich griff sofort nach meinem. Ich nahm einen Schluck und ließ den Geschmack nach Minze und Limette über meine Zunge fließen. „Ich habe es bei der Osborne State und bei der Polizei gemeldet, aber die haben schon vor langer Zeit entschieden, dass ich überreagiere. Anscheinend ist es nicht illegal, ein Mistkerl zu sein, und ich bin mir nicht sicher, ob sie das, was letzte Nacht passiert ist, auch so sehen würden wie ich. Sein Vater ist ein Kongressabgeordneter oder so, also ...“ Ich nahm noch einen Schluck. „Weißt du was? Ich habe es satt, über ihn nachzudenken. Bitte erzähl mir von der City of Thorns. Lassen wir Jack heute Abend aus dem Spiel. Ich will von den Dämonen hören.“

„Wo soll ich nur anfangen?“ 

Ich hob meine Augenbrauen. „Glaubst du, Dämonen können die City verlassen?“ 

Sie schüttelte den Kopf. „Soweit ich weiß, gibt es eine Art magischen Zauber von vor Hunderten von Jahren, der sie an die eine oder andere Dämonenstadt bindet. Aber gelegentlich können sie zwischen ihnen reisen. Warum fragst du?“ 

„In der Nacht, in der meine Mutter ermordet wurde ...“ Ich schaffte es nicht, den Satz zu beenden. Es war, als würde sich die Luft abkühlen und die Atmosphäre dornig werden, wann immer ich das schmerzhafte Thema ansprach. Es gab keinen einfachen Weg zu sagen: Eines Nachts hat ein Dämon mit einem leuchtenden Stern auf dem Kopf meine Mutter im Wald gejagt und verbrannt. Und da das Grauen dieser Nacht selbst jetzt noch sehr präsent war, war es schwer, darüber zu sprechen, ohne das Gefühl zu haben, im Verlust zu ertrinken.

Manchmal dachte ich, das Einzige, was mich über Wasser hielt, war die Gewissheit, dass ich ihren Tod rächen würde. Dass ich in die City of Thorns gelangen und ihren Mörder finden würde. 

Aber das war zu dunkel und unheimlich, um es laut auszusprechen. Schlimmer als die Fuchspisse unter meinem Bett.

Wir saßen an der Marmorbar, und vor uns glitzerte das nachtschwarze Meer. Ich wollte den Abend nicht ruinieren und winkte mit einer Hand. „Schon gut. Ich möchte mehr über dein Leben in der City erfahren. Wie ist es so?“ 

Ich konnte spüren, wie die Spannung in der Luft wieder abfiel. „Verdammt toll“, sagte Shai. „Vielleicht mache ich noch ein Jahr länger. Irgendeine Chance, dass du das Geld für nächstes Jahr zusammenbekommst?“ 

„Ich arbeite an ein paar Ideen, um reinzukommen.“ Zu diesem Zeitpunkt waren es höchst illegale Ideen. „Wie sieht dein Wohnheim aus?“ 

„Mein Zimmer hat einen Balkon und es gibt Bedienstete. Sogar das Meer ist dort viel schöner. Es ist nicht wie der Atlantik – es ist ein wunderschöner tropischer Ozean, der mit Magie geschaffen wurde. Okay, die Stadt hat ja sieben Bezirke, die jeweils einem Dämon zugeordnet sind. Die Universitätsgebäude sind auch so organisiert. Ich wohne in der Lucifer Hall, das ist so ein riesiges Schloss aus Stein.“

Selbst wenn ich meine Rachepläne beiseiteschob, war mein Neid lähmend. „Und wie läuft der Unterricht ab?“ 

„Die Kurse finden in Hörsälen statt, die vierhundert Jahre alt sein müssen, mit Sitzen, die rund um eine Bühne angebracht sind.“ Sie seufzte. „Ich weiß, es kostet wahnsinnig viel. Aber ich will eben magische Künste lernen. Belial ist die beste Hexenakademie für Sterbliche. Ich will unbedingt noch ein Jahr bleiben.“

„Und wie sind die Dämonen so?“ 

Sie fuhr mit der Fingerspitze über den Rand ihres Mojitos. „In meinen Kursen sitzen hauptsächlich angehende sterbliche Hexen, aber es gibt auch ein paar Dämonen und natürlich die Professoren. Sie sind wunderschön und verdammt einschüchternd. Einige von ihnen haben Hörner, aber nicht alle. Ich habe noch niemanden getroffen, der besonders böse zu sein scheint. Zumindest niemanden, der schlimmer ist als Jack.“ Sie drehte sich um, hob ihr leeres Glas und winkte dem Barkeeper, uns eine neue Runde zu bringen. Dann drehte sie sich wieder zu mir um. „Ich habe gehört, dass der König übel ist – er und der Herr des Chaos. Sie sind beide furchterregend, aber ich habe sie bisher nur aus der Ferne gesehen.“ 

Meine Augenbrauen schossen hoch. „Okay, fang mit dem König an. Was sagt man über ihn so?“ 

Sie beugte sich verschwörerisch vor. „König Cambriel ist erst seit kurzem König. Er hat seinen Vater umgebracht, König Nergal, der Hunderte von Jahren regiert hat. Also, Cambriel hat den Kopf seines Vaters abgeschlagen und ihn auf das Tor vor seinem Palast gesteckt.“

Ich erschauderte. „Das ist übel.“

„Ein Dämonenkönig kann nur sterben, wenn sein Erbe ihn tötet, und Cambriel hat genau das getan. Jetzt ist er offenbar auf der Suche nach einer Dämonenkönigin, und es gibt allerlei Gerüchte darüber, welche Frau er wählen könnte.“ 

Während ich meinen ersten Mojito austrank, brachte der Barkeeper schon zwei weitere. 

„Und die Frauen wollen einen Kerl heiraten, der den Kopf seines Vaters über seinem Eingangstor aufgespießt hat?“, fragte ich. „Klingt nach einem guten Fang.“ 

„Für die weiblichen Dämonen ist er das.“ Sie schob einen der Mojitos zu mir rüber. „Und der Herr des Chaos ist der andere begehrteste Junggeselle in der Stadt. Er ist ein Außenseiter – ein Herzog aus der City of Serpents in England, also war er dort Anführer einer Dämonenbezirks. Keiner weiß, warum er gegangen ist, aber offenbar war es ein totaler Skandal. Normalerweise verlassen Herzöge ihre Städte nicht. Aber das Wichtigste ist, dass er anscheinend stinkreich ist.“ 

„Wenn es so ein großer Skandal war, warum kennt dann niemand die Details?“ 

Sie rührte ihr Getränk mit ihrem kleinen schwarzen Strohhalm um. „Es gibt keine Kommunikation zwischen Dämonenstädten. Dämonen können in eine neue Stadt reisen, aber sie dürfen nie über die alte Stadt sprechen. Das war eine der Bedingungen für die Kapitulation in den großen Dämonenkriegen vor Jahren, die durch Magie besiegelt wurde. Die Puritaner dachten, wenn Dämonen miteinander sprechen, könnten sie wieder stark werden und sich dann gegen die Sterblichen erheben. Also darf der Herr des Chaos nichts über die englische Dämonenstadt sagen. Und auch sonst niemand.“ 

„Wow.“ 

„Also.“ Sie lehnte sich näher heran. „Keiner weiß wirklich etwas über ihn. Aber jetzt kommt das Gruseligste: Wenn ein Dämon in eine andere Stadt kommt, muss er eine Prüfung bestehen, die Höllenprüfung. Sie soll beweisen, dass die Dämonengötter den Neuankömmling gesegnet haben. Ich will nicht sagen, dass es barbarisch ist, denn das klingt verurteilend, aber es ist barbarisch. In der City of Thorns läuft die Prüfung so ab, dass die Dämonen durch den Wald rennen und versuchen, den Neuankömmling zu töten. Nur die, die überleben, dürfen bleiben. Die meisten von ihnen sterben, bevor sie in die Gemeinschaft eingeführt werden können, aber der Herr des Chaos hat fünfzig andere Dämonen abgeschlachtet. Jetzt wollen ihn alle Frauen, weil er so furchterregend ist. Ist doch klar.“ 

Ich starrte sie an. „Ist das alles legal?“ 

Sie zuckte mit den Schultern. „Ihre Stadt, ihre Gesetze. Sie können keine Menschen töten, ohne einen Krieg auszulösen, aber Dämonen sind Freiwild.“ 

Das war faszinierend. „Wie sieht der Herr des Chaos aus?“ 

„Ich habe ihn nur aus der Ferne gesehen, aber er ist wirklich schockierend schön. So schön, dass man vor ihm auf die Knie fällt. Er hat silbernes Haar, aber nicht, weil er alt ist. Es ist irgendwie … überirdisch. Und er hat atemberaubende blaue Augen und umwerfende Wangenknochen. Er ist riesig. Ich bin in ihn verknallt, und in einen Zorndämon namens Legion. Er hat lange schwarze Haare und diese verdammt sexy Tattoos. Sie sind beide ... umwerfend. Legion hat mich einmal angesehen, mit so einem glühenden Blick. Kein Scherz, ich habe vergessen zu atmen.“ 

Ich lehnte mich zu ihr herüber. „Was ist mit einem Stern? Hast du schon mal einen mit einem fünfzackigen Stern auf der Stirn gesehen?“

Eine Falte bildete sich zwischen ihren Brauen. „Wovon redest du?“

Und so schnell war ich wieder bei meinem Lebensthema – dem Mord an meiner Mutter. 

Ich schüttelte den Kopf. „Schon gut. Ich habe nur ein Gerücht über Male auf der Stirn von Dämonen gehört. Vielleicht ist es bloß Blödsinn.“

Als die Pizza ankam, nahm ich mir ein Stück und schob es auf einen kleinen Teller. Sie sah erstaunlich gut aus, obwohl sie vegan war. 

Shai trommelte mit ihren Fingernägeln auf den Tresen. „Warum habe ich das Gefühl, dass du immer etwas verheimlichst?“ 

„Manche Dinge sind dazu bestimmt, verheimlicht zu werden.“ Mir lief das Wasser im Mund zusammen, als ich den Kürbis und den Knoblauch roch. Ich nahm einen Bissen, und obwohl der vegane Käse meinen Mund verbrannte, schmeckte er trotzdem herrlich. Ich war mir nicht sicher, ob selbst das magische Essen der Dämonenwelt hiermit mithalten konnte. 

Als ich den heißen Bissen hinunterschluckte, fragte ich: „Zeigst du mir was von den Zaubern, die du gelernt hast? Wenn ich Kopfschmerzen habe, kannst du sie heilen?“ 

Sie wischte sich den Mundwinkel mit einer Serviette ab. „Ich bin noch nicht so weit. Außerdem bin ich Tiermedizinstudentin, wie du weißt. Ich kann keine Menschen behandeln.“ 

Ich zeigte auf sie und fühlte mich jetzt ein bisschen beschwipst. „Aber wenn mir jemand in die Schulter schießen würde, könntest du das mit Magie behandeln, oder würdest du mich in eine Katze oder so verwandeln?“

Sie erschauderte. „Wahrscheinlich halb Katze, halb Mensch. Das wäre furchtbar.“

Wir waren eine Weile still, während wir den Rest der Pizza aßen. 

Als wir fertig waren, drehte ich mich um und sah, dass sich der Club langsam füllte. 

„Wollen wir tanzen?“, fragte Shai. 

Ich hatte schon zwei Mojitos und ein Guinness intus und rief etwas davon, dass heute mein Geburtstag war, während ich auf die Tanzfläche ging. 

Sie spielten mein Lieblingslied, Apashe. Als der Beat durch den Club dröhnte, verlor ich mich in der Musik. Ich vergaß meine College-Kredite, meine katastrophale Präsentation und die Spinnen, die über mich krabbelten, wenn ich schlief. Ich vergaß Jack und den fünfzackigen Stern. Ich ließ mein Verlangen nach Rache los. 

Zumindest tat ich das, bis die Musik verstummte und eine merkwürdige Spannung den Raum erfüllte. 

Manchmal konnte ich die Gefahr spüren, bevor sie da war, und das war einer dieser Momente. Eine heiße, trockene Brise ließ Dunkelheit durch die Bar wehen. Ich erstarrte und stellte beunruhigt fest, dass alle mit einem Ausdruck des Entsetzens in dieselbe Richtung starrten. Eine Gänsehaut bildete sich auf meinen Armen. Die Wärme fühlte sich unnatürlich und beunruhigend an. Ich wollte mich nicht umdrehen. 

Als ich es endlich tat, zog sich mein Magen zusammen. In der Tür stand ein Dämon mit silbernem Haar und Augen, die wie Eiskristalle aussahen. Der Herr des Chaos? Seine Größe und atemberaubende Schönheit machten mich schwindelig. Er sah aus wie ein verdammter Gott. 

Vielleicht waren es die Mojitos, vielleicht war es seine umwerfende körperliche Perfektion, aber ich fühlte mich magnetisch von ihm angezogen. Ich wollte näher an ihn heranschweben und mich an seinen muskulösen Körper pressen. Als ich ihn anstarrte, begann mein Herz schneller zu schlagen.

Göttlich. Sein silbernes Haar hing ihm bis zu den herzzerreißend markanten Wangenknochen herunter. Er trug einen schwarzen Mantel mit hohem Kragen, der offen war. Der dünne graue Pullover darunter brachte seinen muskulösen Körper zur Geltung. Der Stoff sah weich aus, aber ich konnte sehen, dass die Bauchmuskeln darunter steinhart waren. Mein Puls raste, als ich mir vorstellte, wie ich mit meinen Fingern darüber fuhr und seine Muskeln zucken spürte. 

Ich hatte Sex noch nie genossen – kein einziges Mal in meinem Leben. Aber als ich ihn ansah, dachte ich, da ist ein Mann, der mich wirklich befriedigen könnte. 

Ich kniff meine Augen zu. Moment, was zum Teufel war mit mir los? Er war nicht einmal ein Mensch. Er war eine andere Spezies, eine, die Menschen fraß. 

Aber als ich meine Augen wieder öffnete, hatte ich das Gefühl zu schmelzen. Im Gegensatz zu seinen blassblauen Augen waren seine Augenbrauen dunkel wie die Nacht. Der Effekt wirkte schockierend und hypnotisierend zugleich.

Als er mir einen Blick aus seinen blassen Augen zuwarf, durchfuhr mich eine eisige Angst. Seine Hände ballten sich zu Fäusten und er senkte das Kinn, als wollte er mich angreifen. 

Ich erstarrte. Mein Herz schlug jetzt aus einem ganz anderen Grund schneller. Ich hatte seine Aufmerksamkeit, aber nicht auf eine gute Art. 

Es war ein Blick der reinen, unverfälschten Abscheu, ein Blick des spürbaren Hasses, der in meinem Kopf die Alarmglocken läuten ließ. Er hasste mich.

Heilige Hölle. 

Was dachte er, was ich ihm angetan hatte?